Music changed my life – Part I

Woher kommt eigentlich meine Liebe zur Musik? Ich bin nicht in einer Musikerfamilie groß geworden. Das Verlangen, selbst zu singen, war selten spürbar. Mit elf wollte ich Gitarre lernen. Als ich einen der wenigen Plätze an der Musikschule im Osten bekommen hatte, entschied ich mich dann doch für den Sport und fuhr weiter drei- bis fünfmal die Woche zum Kanu-Training. Ab der 11. Klasse konnten wir zwischen Kunst und Musik wählen. Ich entschied mich für Kunst, obwohl ich vermutlich noch weniger gut malen als singen konnte. Ich weiß theoretisch wie man Platten auflegt und mixt. Ableton habe ich mir zwei Stunden lang in der Demoversion angeschaut und das Programm danach nie wieder geöffnet. Wenn mein jüngerer Cousin mir als Musikwissenschaftler, Komponist und Dirigent sagt, warum bestimmte gefeierte Opernsänger eigentlich nicht (mehr) gut singen und welche Komponisten vergangener Jahrhunderte völlig unterschätzt waren, verstehe ich nur eins, dass ich von klassischer Musik nicht viel verstehe.

Dennoch zog mich Musik schon frühzeitig in ihren Bann. Meine allererste Erinnerung an ein bestimmtes Lied reicht um die 35 Jahre zurück. Meine zehn Jahre ältere Tante war damals Teenie und wohnte noch bei ihren Eltern, sprich meinen Großeltern. Wenn ich bei Omi und Opa zu Besuch war, hörte ich manchmal bei ihr dieses eine Lied, was ich auf Anhieb toll fand: „Living Next Door To Alice“ in der Coverversion von Smokie. Das war wohl irgendwie mein erstes Lieblingslied, ich war vielleicht fünf. Ich versuchte den Text nachzusingen und klang wie die meisten Kinder, die noch kein Wort Englisch beherrschen.

Ich wollte mehr und begann mich mit dem Plattenspieler (siehe Foto) sowie den Schallplatten meiner Eltern zu beschäftigen. Vor allem die Rock’n Roll Platten hatten es mir angetan. Meine Schwester und ich durften bald darauf allein Musik hören. Der Wahnsinn! Es kam eine weitere spannende Sache hinzu, das Tanzen. Keine Ahnung mehr, woher wir die Schritte kannten, aber wir tanzten Rock’n Roll und hatten bis wir klitschnass geschwitzt waren Spaß daran.

Die nächste Erinnerung führt in die Zeit, in der ich elf Jahre alt gewesen muss. Da lief ständig ein Lied im Radio, welches ich total mochte. Ich hatte beobachtet, wie meine Eltern aus dem Radio auf Kassette mitschnitten. Eines Tages nahm ich kurzerhand eine Rex Gildo Kassette von meiner Mutter in die Hand, schob sie in das Kassettendeck und wartete. Und tatsächlich, irgendwann kam mein Lied: „Ella Ella“ von France Gall und ich drückte die Record Tasten. Das war mein Durchbruch! Die Kassette konnte ich unmöglich so zurücklegen. Also nahm ich weitere Songs auf, alles was mir gefiel, selbstverständlich nur, wenn meine Mutter nicht zu Hause war. Leere Kassetten kosteten zu DDR-Zeiten um die 20 Mark, das war eine Menge Geld für eine Elfjährige. Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, wie viele Kassetten meiner Mutter ich überspielte, bis sie mein neues Hobby bemerkte. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich mächtig Ärger bekam. Ich verstehe das. Damals gab es weder das Internet, noch einfach so Musik von „West-Interpreten“ zu kaufen. Mitschnitte auf Kassette stellten v.a. für Musikliebhaber aus der DDR Heiligtümer dar.

Mit etwa zwölf oder dreizehn Jahren brach eine neue Ära in Sachen Musikleidenschaft an. Ich bekam ab und zu eine leere Kassette geschenkt und meine beste Freundin Sandra und ich entdeckten die Vorzüge, an der bayrischen Grenze zu wohnen. Durch unsere Nähe zu Hof an der Saale, wo ein Sendemast des Radiosenders RIAS stationiert war, empfingen wir Westradio in guter Qualität. Auf RIAS 2 wurde sonntags eine Sendung ausgestrahlt, die soweit ich mich erinnere, sechs Stunden lang lief. Die „Berlin Charts“, oft moderiert von Andreas Dorfmann, wurden zu einem festen Bestandteil unserer Woche und einem Ritual. Wir saßen beide seperat jeden Sonntag stundenlang vorm Radio und schrieben die Charts in ein Heft mit, 100 Chartplätze! Außerdem wurden die Platzierungen der Lieblingsinterpreten in einem Brief ausgewertet, den wir uns dann am Montag in der Schule übergaben. Festnetztelefone gab es zu dieser Zeit für Unpriviligierte nicht. Ich erinnere mich an Lieder, die wochenlang auf Platz 1 blieben, wie bspw. „Don’t Worry, Be Happy“ von Bobby McFerrin oder „Twist In My Sobriety“ von Tanita Tikaram.

Letzteres musste ich eben spontan suchen und höre den Song, während ich schreibe. Aufgepasst Caro, Abschweifungsgefahr! Dieser Song versetzt mich sofort in das kleine Zimmer einer Neubauwohnung, in dem ich zusammen mit meiner Schwester aufgewachsen bin. 1988, ein Dorf in der DDR, 2km entfernt von der Grenze zu Oberfranken, obwohl wir umgeben von Wald wohnten, sah in meiner Erinnerung zu der Zeit alles grau aus. Das viertelstündliche Läuten der Kirchenglocken ließ die Zeit sinnlos verfliegen. Der sehnsüchtige Blick aus dem Kinderzimmer auf den Bahnhof, auf dem kaum Züge ankamen, der dennoch die einzige Verbindung aus dem Dorf heraus für mich bedeutete. Ich wusste schon damals, dass ich nicht dort hingehöre.

Zurück zur Musik. Star dieser Zeit war für Sandra und mich Michael Jackson. Wie wir dieses Gesangs- und Tanzgenie vergötterten! Neben den Berlin Charts durfte eine weitere Musiksendung nicht verpasst werden, „Formel Eins“ (zu unserer Zeit) moderiert von Kai Böcking lief jeden Samstagnachmittag in der ARD. Es gab bewegte Bilder, Video Clips, die uns einen kleinen Blick in die große weite Musikwelt gewährten. Noch besser als durch das Radio ließ sich hier der eigene Musikgeschmack ausprägen, das Image und der Modegeschmack einer Band begreifen. Und zum ersten Mal waren Tendenzen erkennbar, wohin dieser sich in meinem Fall einmal entwickeln würde. Ehrlicherweise muss ich zugeben, ich fand auch Sandra Cretu, Madonna, Rick Astley und sogar Kylie Minogue und Jason Donovan im Duett toll (Mädchen eben…), aber fasziniert war ich von The Cure mit „Lullaby“ und berührt hat mich einfach jeder Song von Depeche Mode, von denen sich gefühlt immer zwei bis drei verschiedene gleichzeitig in den Charts hielten.

Ein bittersüßer Schmerz durchzog mich jedes Mal, wenn ich heimlich einen Intershop betrat. So hießen diese Läden in der DDR, in denen man nur mit D-Mark oder später mit Forumschecks bezahlen konnte. Dort gab es aktuelle Alben als LP oder auf Kassette, Westwaren. Die Stasi ließ diese Shops beobachten und schrieb mit, wer dort hinein ging. Um keinen Ärger mit der Staatsmacht zu bekommen, verboten meine Eltern meiner Schwester und mir vorsichtshalber, in Intershops gehen. „Westgeld“ hatten wir sowieso selten. Aber all die verführerischen Dinge anschauen, mir ein Bild machen, träumen dürfen, das wollte ich als Teenie schon.

Wenn man Glück hatte, wurden einzelne Alben von der DDR-Plattenfirma AMIGA veröffentlicht. Zu kaufen gab es diese Veröffentlichungen auf dem Land allerdings meist nur unter dem Ladentisch. Ich holte mir was nur möglich war aus der Bibliothek, die sich glücklicherweise genau gegenüber von unserer Wohnung befand. Das Depeche Mode Greatest Hits Tape, welches AMIGA 1987 veröffentlichte, wurde mehrmals von mir ausgeliehen und verlängert. Verlängert werden durfte, so lange keine Vorbestellungen vorlagen und man in der Gunst der Bibliothekarin stand.

Musik war für mich frühzeitig ein Tor zur Welt hinter der Mauer und zur Welt der Emotionen. Der erste Liebeskummer, die ersten Englischstunden in der Schule, das Gefühlschaos der Teenie Zeit und das Einläuten der Wende. Das ging emotional sehr tief und ich lasse nur „Eternal Flame“ von den Bangels nebenbei laufen und bin sofort zurück in diesem Zustand, der v.a. mit Sehnsucht beschrieben werden kann, Sehnsucht mit ein wenig Herzschmerz und der Hoffnung, dass bald etwas Wunderbares passiert. Was das sein würde und in welchem Ausmaß es mein gesamtes Leben beeinflussen wird, konnte ich das damals wissen? Wissen nicht, aber rückblickend kommt es mir so vor, als hätte ich es geahnt, mit jedem Blick auf die große Kastanie vor dem Haus, auf die am Bahnhof wartenden Leute, von denen ich jeden einzelnen kannte und mit jedem Klang dieser Kirchenglocke, die mich manchmal beinah um den Verstand brachte.

Und dann passierte etwas Unglaubliches. Im November 1989 wurden die Grenzen geöffnet. Noch immer verschafft mir dieser Gedanke Gänsehaut. Was die Musik mit und nach dem Mauerfall für mich getan hat, wohin sie mich führte und woher meine Liebe nun kommt, beschreibe ich in einem weiteren Artikel.